In Gesprächen um die Auswirkungen des Krieges auf die Weltwirtschaft geraten die Begriffe manchmal durcheinander. Dabei kann klare Sprache helfen, die unklare Lage zu ordnen.
Ein Grundsatz guter Kommunikation lautet: Je komplizierter ein Sachverhalt, umso einfacher sollte die Sprache sein, um ihn zu beschreiben. Daran muss ich in den vergangenen Wochen oft denken. Schließlich schwirren seit dem Kriegsausbruch in der Ukraine fast täglich neue Begriffe durch die Medien. Dort, wo sie um die weitere Entwicklung der Weltwirtschaft kreisen, fällt besonders auf, wie unübersichtlich die Lage doch ist: Gibt es eine Hyperinflation? Kommt die Stagflation? Oder droht eine Rezession?
Wer solche Worte nutzt, ohne ihre genaue Bedeutung und die Unterschiede zu erklären, leistet der Sprachverwirrung Vorschub. Weil die Vokabeln so oft dahingesagt und mit Prognosen zum weiteren Verlauf der Zins- und Steuerpolitik verbunden werden, hier ein kurzer Überblick über die Zusammenhänge – und die möglichen Folgen des Kriegs und der Sanktionen für die Weltwirtschaft.
Hyperinflation
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und einer der populärsten Ökonomen dieses Landes, warnte vor wenigen Tagen in einem Interview in der Welt davor, dass eine Inflation „Richtung zehn Prozent“ möglich wäre, wenn der Krieg eskaliert. Eine Inflationsrate nur leicht über fünf Prozent, wie die Europäische Zentralbank sie aktuell offiziell erwartet, hält er für zu „optimistisch“. Der Krieg in der Ukraine könnte die europäische und deutsche Wirtschaft viel stärker treffen.
Zehn Prozent jährliche Preissteigerung, hervorgerufen vor allem durch den massiven Anstieg der Energiekosten und der Nahrungsmittelpreise, wären für die Bevölkerung in der Tat eine große Herausforderung. Die aktuelle Diskussion um den Spritpreis gibt bereits einen Vorgeschmack auf das, was in einem solchen Fall an politischen Debatten zu erwarten ist.
Ist das aber schon so etwas wie eine Hyperinflation? Davon wären wir selbst mit einem neuerlichen Inflationsschub weit entfernt. Der US-Ökonom Phillip D. Cagan hat sich zeitlebens mit Ursachen und Folgen der Hyperinflation befasst. Ihm verdanken wir auch eine allgemein anerkannte Faustregel dafür, wann die Inflation so „hyper“ wird, dass sie sich nicht mehr einfangen lässt und eine sofortige Zerrüttung des Geldsystems eintritt. Es sind 50 Prozent. Allerdings nicht jährlich, sondern monatlich. Was wiederum einer jährlichen Teuerungsrate von umgerechnet etwa 13.000 Prozent entspräche. Der Brötchenpreis steigt dann innerhalb eines Jahres nicht von 1 Euro auf 1,10 Euro sondern auf 130 Euro.
Wer mehr darüber wissen will, wie Inflation entsteht, dem empfehle ich meinen jüngsten Podcast. Dort habe ich mit Marcel Fratzschers Mitarbeiterin Prof. Dr. Kerstin Bernoth ausführlich über die Logik und Folgen von Preisanstiegen gesprochen.
Stagflation
Auch im Wort Stagflation, das derzeit viele Marktbeobachter im Mund führen, steckt das Wort Inflation. Außerdem steckt Stagnation drin. Und genau das beschreibt der Begriff: Wirtschaftliche Stagnation verbunden mit hoher Inflation wie in den 1970er-Jahren. Auch bei Fidelity halten wir ein solches Szenario für wahrscheinlich und haben zuletzt mehrfach über die Risiken einer Stagflation berichtet.
Aber wie entsteht eigentlich Stagflation? Üblicherweise entsteht Inflation als Folge eines Wirtschaftsbooms. Wenn die Nachfrage an Waren und Dienstleistungen das Angebot übersteigt, klettern die Preise. In wirtschaftlichen Schwächephasen passiert das Gegenteil: Die Konsumlust schwindet, es ist wenige Geld im Umlauf, und die Preise sinken. Eine Stagflation widerspricht dieser Logik. Sie entsteht daher auch nicht wegen veränderter Nachfrage, sondern auf der Angebotsseite. Genau das erleben wir gerade in doppeltem Ausmaß: Zunächst hat die Pandemie Produktions- und Lieferketten beschädigt. Und nun schrumpft durch den Krieg und die Sanktionen das Angebot an Öl, Gas, Kohle und landwirtschaftlichen Gütern, so dass die Preise stark steigen.
Es droht eine Abwärtsspirale aus schrumpfender Nachfrage, rückläufiger Produktion, steigender Arbeitslosigkeit, einer Kreditklemme bei Unternehmen und vielem mehr. Für Notenbanken ist so ein Szenario schwer in den Griff zu bekommen, denn was immer sie in dieser Situation tun, kann sich als politischer Irrtum erweisen. Wenn Notenbanken nicht mehr helfen können, sind unter anderem die Staaten gefragt. Genau darauf laufen die wirtschaftspolitischen Debatten aktuell hinaus.
Rezession
Das Angebot könnte sich in den kommenden Wochen noch weiter verknappen, zum Beispiel, wenn die Staatengemeinschaft noch weitreichendere Sanktionen beschließt und kein Öl, Gas und Kohle mehr aus Russland kauft. Dann droht auch wirtschaftlich eine weitere Zuspitzung, nämlich eine hohe Inflation kombiniert nicht nur mit einer Wachstumsschwäche, sondern mit einer echten Rezession – also mit einer schrumpfenden Wirtschaftsleistung. Das ist inzwischen vor allem für Europa ein durchaus denkbares Szenario. Es ist historisch ohne Vorbild und auch noch ein Begriff dafür ist noch nicht gefunden. Rezeflation wäre vielleicht ein passendes Wort.
Inflation, Stagflation, Rezession: Keiner dieser Begriffe beschreibt präzise, in welches wirtschaftliche Szenario wir in Europa womöglich in den kommenden Monaten hineinlaufen. Umso wichtiger ist es, sich der Wortwahl bewusst zu sein, ihre Bedeutung zu verstehen – und im Zweifel lieber konkret zu beschreiben was kommt, statt lediglich ein „Buzzword“ in den Raum zu stellen.