Roundup Im Herbst: Ist Diese Rallye Mehr Als Eine Episode?

Es ist nicht die erste mehrwöchige Rallye, die die Aktienmärkte in diesem Jahr sehen. Bislang sind sie alle gescheitert und neuen Tiefs gewichen. Aber irgendwann wird aus einer Rallye eben auch die endgültige Aufwärtswende. Ist es diese, die den Turnaround bringt … oder scheitert sie wie ihre Vorgängerinnen? Dafür ist die Gesamtsituation entscheidend, sehen wir uns die anhand einiger entscheidender Eckpunkte einmal an.

Abwärtsbewegungen, die in einem eindeutig bullischen Marktumfeld auftauchen, sind entweder durch Gewinnmitnahmen ausgelöst oder durch kurzfristige Irritationen. So etwas dauert nie lange, dann sind die Käufer wieder da. Aufwärtsbewegungen innerhalb einer Baisse, wie an der Börse aktuell, werden von Short-Eindeckungen und dem Aufkeimen von Hoffnungen initiiert. Letztere können sehr hartnäckig sein, weshalb Rallyes in Abwärtstrends stärker ausfallen und länger anhalten können als Rücksetzer in einer Hausse. Aber nur, wenn die Hoffnungen auch einen tauglichen Unterbau haben, wird mehr daraus. Es müsste sich etwas in den Rahmenbedingungen abzeichnen, das imstande wäre, die Kurse lange genug oben zu halten, bis die Wirtschaft wieder durchstartet. Haben wir diese Situation gerade?

Eigentlich hat die Krise ja noch nicht einmal begonnen. Noch haben wir keine wirkliche Rezession, weder in den USA noch in Europa. Noch ist auch die Inflation nicht besiegt, im Gegenteil, es ist ja noch nicht einmal eine Art Topp erreicht. Wer momentan beherzt Long geht, muss unterstellen, dass die Rezession gar nicht kommt, dass es gelingt, die Inflation zu stoppen und zum Teil wieder umzukehren, ohne dass die Volkswirtschaften nennenswert ins Wanken geraten, ohne dass Unternehmen unter Wasser geraten. Man muss darauf setzen, dass es nicht zu einer Lohn/Preis-Spirale kommt, das Volumen platzender Kredite gering bleibt, die Verbraucher trotzdem den Konsum befeuern. Fangen wir mal mit dem an, was dieser Klientel als Beweis dient: Das wider Erwarten um 0,3 Prozent gestiegene deutsche Bruttoinlandsprodukt des dritten Quartals.

Na also, alles im Griff? Das Wachstum des deutschen Bruttoinlandsprodukts

Man hatte seitens der Volkswirte im Schnitt einen Rückgang der deutschen Wirtschaftsleistung um 0,2 Prozent zum Vorquartal vermutet, gemeldet hat das Statistische Bundesamt aber einen Zuwachs um 0,3 Prozent. Und zwar real, also um die Inflation bereinigt. Zum Vorjahr liegen wir dadurch immer noch 1,2 Prozent höher, vermutet hatte man einen Rückgang auf +0,7 Prozent.

Das ist überraschend. Aber wenn ich so etwas hier als Kommentar zu diesen Zahlen lese, fürchte ich, da gibt es einige, die nichts von dieser Krise haben kommen sehen und jetzt bestätigt sehen, dass sie richtigerweise auf die ewige Hausse gesetzt hatten: „All jene, die Deutschland (und Europa) in eine tiefe Rezession stürzen sahen, müssen bitter enttäuscht sein.”

Das kommt von einem Unternehmen, das Geld der Sparer verwaltet. Unfassbar. Wer so etwas schreibt, unterstellt, dass, wer vor der Rezession warnt, selig ist, wenn sie kommt und andere leiden. So etwas als Aussage von einem großen deutschen Vermögensverwalter, das lässt tief auf das Denken desjenigen blicken, der so etwas verbreitet. Und ich könnte mir gut vorstellen, dass nicht wenige ähnlich denken. Was aber hieße: Viele unterstellen, dass dieses Plus im Bruttoinlandsprodukt der Beweis sei, dass es nicht zu einer Rezession kommt.

Meines Erachtens haben wir de facto längst eine Rezession, in den USA ebenso wie in Deutschland. Warum das dritte Quartal ein Wachstum zeigte? Das Statistische Bundesamt sah den privaten Konsum als Wachstumstreiber. Das ist gut, wenn das auf einer großen Mehrheit solventer Bürger fußt, denen ein paar Quartale immens steigender Preise nichts ausmachen und die keinen Grund sehen, deswegen weniger zu konsumieren. So etwas finde ich in meinem persönlichen Umfeld aber eher weniger. Und nichts im Zuge von ZEW-Indizes, ifo-Index, Einkaufsmanagerindizes oder den Meldungen aus Industrie und Dienstleistungssektor würde bestätigen, dass die Deutschen nicht nur einfach weitermachen wie bisher, sondern noch eine Schippe drauflegen. Also, was könnte das Wachstum ausgelöst haben?

Was wurde weniger im Juli, aber im August und September extrem viel gekauft? Wenn ich mich umschaue, stelle ich fest: Im August und besonders im September wurde Heizöl, kaum erhältlich und teuer, aus Angst vor dem Winter gebunkert. Holz und Pellets dito, Elektroöfen und Notstromaggregate ebenfalls. Beim heimischen Baumarkt war Mitte September schon die dritte Charge an Elektro-Heizkörpern ausverkauft. Kaum da, schon aus dem Laden geschleppt, die Nachfrage immer noch nicht gestillt. All diese Dinge hätte in einem normalen Umfeld kaum jemand erworben. Und wir reden da meist von dick vierstelligen Summen! Eine Tonne Pellets kostet gerade fast das Vierfache des Preises von vor zwei, drei Jahren. Notstromaggregate liegen zwischen 600 und 2.000 Euro. 2.000 Liter Heizöl kosten über 3.000 Euro. Das alles geht ins Bruttoinlandsprodukt mit rein. Also täte man wohl gut daran, diese Zahlen nicht als Beweis dafür zu sehen, dass die Krise nebst Rezession abgesagt ist. So, jetzt genug damit, kommen wir zu anderen Punkten:

Inflation? Bei bester Gesundheit!

Gestern kam auch die Vorab-Berechnung zur deutschen Inflationsrate im Oktober. Mit einer Jahresrate von 10,4 Prozent, in der harmonisierten, d.h. der Eurozone einheitlich angeglichenen Berechnung sogar von 11,6 Prozent sehen wir: Die EZB hat bislang keinen Grund, über eine Pause bei den Zinserhöhungen nachzudenken. Was aber viele derer, die an der Börse aktuell DAX & Co. nach oben kaufen, unterstellen.

Alleine zum Vormonat ging es mit den Preisen hierzulande um 0,9 Prozent nach oben, die Prognosen hatten nur bei +0,6 Prozent gelegen. In der harmonisierten Berechnung waren es sogar +1,1 Prozent (Prognose +0,5 Prozent). Wenn wir uns das mal indexiert ansehen, und zwar in der realeren, weil harmonisierten Variante, sehen wir: Vor einer Abflachung der Inflation ist nichts zu sehen.

Und diese Ergebnisse machen auch klar, dass man sich über eine noch wachsende Wirtschaft lieber nicht freuen sollte, denn genau das befeuert ja die Nachfrage, die Preise und somit die Notwendigkeit, die Inflation durch noch höhere Zinsen zu stoppen. Und es birgt das Risiko, dass man mit den Zinsanhebungen zu weit geht.

Denn all diese oben genannten, kapitalintensiven Käufe der letzten Monate fallen dafür ja im Winter weg bzw. andere Dinge können, weil das Geld für Pellets, Heizöl oder Aggregate draufging, dann eben nicht gekauft werden. Die Wirtschaft wird also durchaus zurückkommen, die Nachfrage sinken und das die Inflation bremsen. Aber mit diesen aktuellen Daten eines starken Bruttoinlandsprodukts und einer weiter zu hohen Inflation werden die Zinsen erst einmal weiter angehoben … und werden das Loch, in das die Wirtschaft eben am Ende doch fallen wird, vertiefen. Weiter im Text: Was tut sich am Aktienmarkt?

Es ist eine Rallye wie die anderen … und bislang ziehen die entscheidenden Akteure nicht mit

Rallyes haben eine hypnotische Wirkung, die aus ihnen herausstrahlende Zuversicht ist ansteckend, selbst dann, wenn es ihr an einem soliden Unterbau fehlt. Oder besser: gerade dann. Denn natürlich stecken viele Anleger jetzt in der Verlustzone fest, was könnten die lieber sehen als eine Rallye? Da schaut man nicht genauer hin, ob das alles Hand und Fuß hat, das nimmt man gerne als „richtig“ und „sicher“ an und hilft aktiv mit, die Kurse anzuschieben, immerhin wirkt es bei vielen Aktien jetzt, als könne man da die Schnäppchen des Jahrzehnts machen, einfach, weil sie schon so weit gefallen sind. Außerdem wächst mit jeder vorherigen, abverkauften Rallye die Hoffnung, dass die nächste dann endlich wirklich die Wende bringt.

Aber wie eingangs erwähnt kann so etwas nur dann eine echte Wende werden, wenn die Basisfaktoren, die die Baisse initiiert hatten, entweder ins Positive gedreht haben oder dies zumindest in nächster Zeit zu erwarten ist, wobei „in nächster Zeit“ eine Spanne zwischen drei und sechs Monaten zu sein pflegt.

Und es ist vor allem nötig, dass nicht nur hoffnungsvolle Privatanleger kaufen, sondern auch diejenigen, die mit dem richtig großen Geld agieren und damit Trends machen und genauso auch kippen können: Zum einen die großen Trader am Terminmarkt, zum anderen die institutionellen Investoren wie Fonds und Pensionskassen. Und in beiden Bereichen sieht es momentan noch nicht so aus, als würde man da ernsthaft auf Hausse drehen.

So sehen wir im vorstehenden Chart, dass das Volumen der Kredite für Sicherheitsleistungen im Derivatebereich, die sogenannten „Margin Debits“, weiter gefallen ist. Hier haben wir zwar bislang nur die Entwicklung bei zum 30.9., d.h. es könnte im Oktober wieder zu einer Zunahme der Zocker-Positionen gekommen sein. Aber ich würde vermuten, dass dieser Anstieg der Volumina, mit denen Derivate auf Kredit getradet werden, dem immensen Anstieg des Aktienmarkts nicht entsprechen wird. Denn wer derart riskant zockt, tut das nur, wenn er/sie sich wirklich gute Chancen ausrechnet, bei Margins auf Pump ist man beim kleinsten Fehler weg vom Fenster.

Auffällig ist auch, dass die Barreserven der US-Fonds zuletzt neue 20-Jahres-Hochs erreicht haben. Wenn die Fonds nennenswert kaufen und zugleich die Barreserve steigen soll, müssten sie von frisch zufließendem Geld der Sparer förmlich erdrückt werden. Davon war bislang aber nichts zu hören. Die steigende Barreserve wäre also wohl richtiger so interpretiert, dass sich die Fondsmanager noch gezielt zurückhalten, dieser Super-Rallye eher misstrauen, eben weil die Rahmenbedingungen nicht passen. Denn sie wissen sehr wohl:

Ob US-Notenbank und EZB dann Ende des Jahres einen 0,50 Prozent-Zinsschritt statt eines Schritts von 0,75 Prozent machen, ändert an der Gemengelage an sich absolut nichts. Für die überschuldeten Privathaushalte dies- wie jenseits des Atlantiks sind die Zinsen auch jetzt schon zu hoch, die in den USA bereits über sieben Prozent gelaufenen Hypothekenzinsen mal sowieso.

Zudem war von vornherein klar, dass man irgendwann das Tempo senken bzw. eine Pause einlegen wird, um die Wirkung der Zinsmaßnahmen zu prüfen, weil man dort ja weiß, dass diese Wirkung erst mit Zeitverzögerung eintritt. Damit sind solche Gerüchte bzw. Hoffnungen nichts, was etwas Neues bergen würde. Und sie sind per se eben auch nicht bullisch. Jetzt abschließend der Blick auf die charttechnische Situation. Ein Blick auf den DAX zeigt:

Stärkste Rallye seit Ende 2020 im kritischsten Umfeld seit Jahrzehnten: Wer soll da noch kaufen?

So stark wie in diesem Oktober hatte der DAX zuletzt im November 2020 zugelegt. Damals waren die US-Wahl und die Corona-Impfstoffe die Treiber gewesen. Auch diesmal steht eine US-Wahl an, morgen in einer Woche. Aber sie wird mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass sich US-Regierung und Kongress gegenseitig blockieren, weil die Demokraten ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus und, wenn es dumm läuft, auch im Senat verlieren. Das wäre in einer Situation wie dieser ein „Worst Case“-Szenario, denn das verheißt nicht frischen Wind, sondern völlige Windstille, für zwei lange Jahre. Also nichts, das als Argument dienen würde, jetzt auf die Rückkehr starken Wachstums zu setzen. Vor allem nicht, nachdem der DAX bereits relativ stark in kurzer Zeit gelaufen ist.

Das gilt für den Dow Jones natürlich ebenso. Dabei gab es dort durchaus viele miese Quartalsbilanzen. Aber wie üblich in Hoffnungs-Rallyes verkaufte man die „schlechten“ Aktien, nur, um sie ein paar Tage später dann als Schnäppchen anzusehen und bis dahin einfach andere Aktien zu kaufen, die ihre Ergebnisse noch nicht gemeldet hatten. Und wer den Break über die 200-Tage-Linie, der dem Dow Jones am Freitag gelang, als massiv bullisches Signal ansieht, sollte erst einmal diesen Chart betrachten:

Das war dem US-Flaggschiff Mitte August auch gelungen, auch die da geltende Abwärtstrendlinie wurde überboten. Aber kaum war das vollzogen, warteten diejenigen, die das aktiv befeuert hatten, auf Anschlusskäufe, die nicht kamen. Auffällig war der RSI-Indikator: Der war da erstmals im laufenden Jahr in die überkaufte Zone gelaufen. So etwas passiert selten. Das kann zwar ein paar Tage vorhalten. Aber normalerweise ist dann eine Korrektur, zumindest eine Seitwärtsbewegung nahe.

Damit es diesmal anders läuft, müssten genug Trader, die jetzt noch nicht gekauft haben oder noch zukaufen können/wollen überzeugt sein, dass a) die Notenbanken ihr Tempo herunterfahren, b) das dann auch wirklich etwas ändert und c) die Inflation trotzdem besiegt wird und nicht im Gegenteil das Zaudern der Notenbanker die Lage verschlimmert, weil das Problem sich verstetigt.

Hoffnung und Gier kann viel erreichen, auch eine Wende vor der Zeit. Aber „kann“ heißt nicht „muss“ … und nach diesem Roundup zumindest äußerst skeptisch an den Gedanken heranzugehen, dass jetzt die endgültige Aufwärtswende läuft, kann wirklich nicht schaden.

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